Im Laufe der Zeit ändern sich Schönheitsideale. Waren es zu Rubens Zeiten (Anfang 17. Jahrhundert) noch Frauen mit üppigen Rundungen, galt im krassen Gegensatz dazu in den 1960er Jahren das androgyne Teenagermodel Twiggy als Schönheitsvorbild.
Ich finde solche Strömungen interessant und habe mich näher mit dem Schönheitsideal des 15. Jahrhunderts beschäftigt und versucht, es mithilfe meines Wissens aus der Gesichtlesekunst zu deuten.
Im 15. Jahrhundert galt es als schön, wenn frau eine hohe Stirn hatte. Dafür wurden die Haare am Haaransatz weggezupft. Auch wenn ich bei der Vorstellung elektrische Blitze durch meinen Körper fahren spüre, wird es wohl ähnlich dem heutigen Augenbrauenzupfen gewesen sein, dass es mit der Zeit immer weniger schmerzt, weil die Haarfollikel lockerer sitzen. Aber nicht nur das: die moderne Frau im Spätmittelalter beließ es häufig nicht nur beim Haaransatz, auch die Augenbrauen wurden entweder sehr dünn gezupft oder ganz weggerupft. Doch was mir den größten Schauder über den Rücken fahren lässt ist, dass es auch als schick galt, keine Wimpern zu besitzen. Ich möchte bitte glauben, dass sie eine Schere dafür verwendet haben… .
Da die Kirche in dieser Zeit das Schönheitsideal prägte wird vermutet, dass die hohe Stirn ein keuscheres und reineres Aussehen verleihen und möglicherweise auch an ein Kindergesicht erinnern sollte. Ich habe mich gefragt, ob das aus gesichtleserischer Sicht wirklich das Bestreben war.
Sehen wir uns das etwas näher an.
Tatsächlich ist es so, dass für Gesichtleser aller Kulturen die hohe Stirn ein Hinweis auf höhere Intelligenz ist. Wollten sich die Damen, die den Männern unterstellt waren und wenige Rechte besaßen, auf diese Weise unterschwellig Respekt verschaffen? Oder war es wirklich nur die Nachahmung des Kindchenschemas? Ich will das nicht so recht glauben.
Was für mich ebenso ein Widerspruch ist sind die Locken, die damals modern waren. Man wollte doch eigentlich brave, angepasste Frauen, doch Locken stehen gemäß der chinesischen Gesichtlesewissenschaft für ausgeprägte Individualität, Unangepasstheit und dass die Trägerin geistig und gefühlsmäßig aufgedreht ist. War das ein Ausdruck, wie es im Inneren aussieht?
Kommen wir zu den Augenbrauen. Ich hörte mal als junge Frau, dass Frauen anfingen sich die Brauen zu zupfen, um sanfter zu wirken bzw. sich nicht so schnell ihren Groll anmerken zu lassen, wenn der Ehemann nach Hause kam. In der Tat deuten chinesische Gesichtleser feine, dünne Augenbrauen als passiveres Temperament. Menschen mit solchen Augenbrauen drücken ihren Ärger nicht so gern aus, sind sensibel, besitzen eine hohe Konzentrationsfähigkeit und hegen den Wunsch nach Einfachheit und Klarheit.
Auffallend spärliche Wimpern lassen auf Trägheit und Inaktivität und eine eher konservative Grundstimmung schließen. Der Mensch, dem sie ausfallen, wirkt kraftlos und manchmal auch gefühllos.
Die Beschaffenheit der Wimpern gibt Information darüber, wie feinfühlig und vital der Mensch ist. In vielen Kulturen gilt, je länger, desto attraktiver und feinfühliger ist der Mensch. Also wollte man die Attraktivität auf ein Minimum reduzieren? Zumal auch das körperliche Erscheinungsbild entsprechend adaptiert wurde. Neben den Schönheitsmerkmalen im Gesicht galten zum Beispiel kleine Brüste als schön – dafür wurde auch einiges getan, sie wurden zum Beispiel mit Taubenmist eingeschmiert oder abgebunden, um das Wachstum zu verhindern.
Ich muss gestehen, dass mich dieses Schönheitsideal ziemlich verwirrt, auf der einen Seite signalisierten diese Frauen hohe Intelligenz, ausgeprägte Individualität, Unangepasstheit, Aufgedrehtheit und hohe Konzentrationsfähigkeit, auf der anderen Seite wiederum passives Temperament, konservative Grundstimmung, Angepasstheit bzw. Sanftmut bis hin zur Gefühllosigkeit.
Das drückt wohl sehr klar aus, wie es in diesen Frauen damals ausgesehen haben muss.